Prag:
Meine Uhr piept mich pünktlich um 7:06 Uhr aus dem Traum. Es lichtet sich draußen, hinter den IKEA – Stoffgardinen, gerade der Nebel. Langsam rutschen meine Beine aus der horizontalen nach rechts weg und finden halt auf meinem Teppich. Die Socken werden schnell übergestreift. Es steht Monday drauf, aber es ist eigentlich Freitag, dies ist jedoch so was von egal denke ich mir. Okay, jeder wird mich darauf ansprechen und jedem werde ich erzählen müssen, dass meine Friday Socken vorne leider ein rießen Loch haben, aber egal. Da steh ich drüber, oder besser, drin – in den Socken.
Schnell die Zähne putzen und die Wasserflasche mit Leitungswasser befüllen, dann kann es auch schon losgehen. Ich wanke, noch leicht schlaftrunken, aus meinem Wohnheim. Kalte, weiche Luft erfasst mein Gesicht, sie wird mich begleiten.
Ich laufe zur Straßenbahnhaltestelle und sehe, dass die nächste Bahn erst in 17 Minuten kommt. Blöder Feiertag grummele ich in meinen Jackenkragen und trete den 6 Minuten Fußweg zum Hauptbahnhof an. Es ist absolut alles wie tot in dieser Stadt, alles, alles, alles.
Meine Uhr zeigt mittlerweile 7:32Uhr. Mir bleiben also noch genau 12 Minuten bis zur Abfahrt meines Busses. Das schaffe ich locker. Ich kann sogar noch gemütlich erfrieren denke ich mir. Gut, so schlimm kalt ist es ja dann doch noch nicht. Ich warte mir also noch ein paar Minuten die Beine in den Bauch. Der Bus fährt vor. Teplice leuchtet von der Zielanzeige. Ich steige ein und löse einen Fahrschein von Zinnwald nach Teplice. Meine Wenigkeit bezahlt 3,5 Euro und zeigt nebenbei noch routiniert seinen Studentenausweis mit dem Semesterticket vor. Dieser befördert mich nämlich kostenlos von hier nach Zinnwald. Felix gönnt sich natürlich einen Fensterplatz, auch wenn ich sagen muss, dass meine Beine sich in dem Gangplatzbereich befinden. Diese Sitzabstände werden auch immer krimineller! Neubaublocks ziehen an mir vorbei, es geht einen Berg hinauf, eine Haltestelle nennt sich sogar „Technische Universität“, hier laufen sicherlich nur superintelligente Wesen rum… Aber es steigt keins zu.
Schlagartig ist von Stadt nichts mehr zu sehen, Erdwälle türmen sich auf. Was wie ein Schutzwall vor suizidbombenden, palästinensischen Rikschafahrern anmutet, ist die neue A17 nach, ja nach wo eigentlich? Tschechische Pampa, Pirna vielleicht? Egal, daran kann ich jetzt nicht denken, denn schließlich erreiche ich das weltberühmte Bannewitz gleich hinter der Autobahn. Äh, ja. Und Tschüß Bannewitz. War toll hier auf deiner Hauptstraße. Und der REAL Markt, einfach Klasse…
Nach Karsdorf folgt Oberhäslich, ist ja wohl klar wieso der Ort so heißt. Da haben sich unsere Ahnen ja mal richtig Mühe gegeben bei der Namensfindung. Passt, nun gut, ein „s“ fehlt.
Aber jetzt wird es erstmals richtig schlimm. Der nächste Ort heißt Dippoldiswalde. Im Volksmund „Dipps“ genannt. Diese Stadt besticht durch …………. ………………….
. …………….…………………………………….. ………..jip, nix. Unsanierte Häuser bröckeln auf die Straße. Glatzen laufen über den völlig überdimensionierten Busbahnhof. Hier wäre es ok, wenn sich der Nebel nie verziehen würde. Und jetzt hat der Bus auch noch einen fünfminütigen Aufenthalt hier. Ohoh. Mir fällt ein, ich studiere mit Personen aus Dipps, sie sind aber auch nicht ganz richtig im Kopf… Liegt wohl an der Umgebung.
Weiter geht’s. Immer die Straße rauf. Vorbei an Obercarsdorf, Schmiedeberg, parallel zur ehemaligen Weißeritztahlbahn und rein nach Kipsdorf. Bei diesen Orten hätte man sich gewünscht, dass die Flut 2002 doch noch hätte ein bisschen verhärender sein können. So ungefähr 15 Meter höher. Und das Wasser 50 Km/h schneller. Nun, dem war nicht so und deswegen muss ich nun hier verfallen Häuser, graue Schuppen, ungemähte Brachflächen und supermillionenteure Brücken sehen, welche eh bald wieder kaputt sind. Das Wasser kommt wieder. Der Mensch rafft’s einfach nicht. Aber ok, fahren wir halt durch das Tal der Weißeritz und lassen Jugendliche zusteigen, deren Doofheit nicht mehr in Worte fassbar ist. Deshalb bezeichne ich sie als „%$§§$DGE*§$’§%*53#53“$!§“%§%!%$__><<>?=§&“$“. Trifft es eigentlich ganz gut.
Wolken (oder ist es doch Nebel???) verfangen sich nun in den Höhenlagen des Erzgebirges, anders, sie tun es immer, aber ich sehe es erst jetzt. Der Wald wird dichter. Einige Eingeborene werden dort sicherlich noch hausen, man hat sie wohl noch nie entdeckt, sie werden keine Ahnung von der deutschen Sprache haben. Dennoch werden sie trotzdem, auf Anhieb, besser Deutsch sprechen als die Bewohner der umliegenden, angeblich zivilisierten, Orte. Das kann man an einem einfachen Gespräch im Bus sofort erhören. „Da gesd ni zu de Rolfs garsche, odder wi?“ – „Nee, de Rolf is doch in Maijorga, da kümmer keene äppel ärnden hädden gönnen, nu!“
So, oder so ähnlich klingt es, ich habe es ja auch nicht so super verstehen können…
Kurz noch durch Waldbärenburg gezuckelt, dann kommen drei Serpentinen. Das Highlight dieser Tour, ganz ohne Zweifel. Wie der Bus im oberen Drehzahlbereich kämpft, nur mühsam an Höhe gewinnt, links kleine, tiefergelegte Opel-Corsas vorbeiheizen, rechts Schildkröten den Bus alt aussehen lassen, da sie doch wesentlich schneller sind…
Wenn Schildkröten einen „alt“ aussehen lassen ist was faul. Ein Glück dass die Straße nicht nach L'Alpe d'Huez sondern nur nach Altenberg rauf führt. Schneestangen rechts und links der Fahrbahn weisen den Weg in das Wintersportzentrum des Osterzgebirges. Am Bahnhof wenden wir in dem gigantischen Busbahnhof neben dem Bahnhof. Hier wird gewartet bis 8:46 Uhr. Das sind noch fünf Minuten. Die werden abgestanden. Danach fahren wir durch das Zentrum dieser Bergstadt. Berg? Stadt? Ja, is klar, da musste wohl mal wieder jemand übertreiben…
Der Hausberg Altenbergs misst geschätzte 77,5 Meter, hängt aber eh im Nebel fest.
Na und „Stadt“, ach sprechen wir nicht drüber. Weiter geht’s. Nächstes Ziel: Zinnwald! Ja in Zinnwald da gibt es einen, ach was sag ich, zwei!!! Grenzübergänge. Nur sind die mal so absolut nutzlos, denn hier wird ja nun eh nicht mehr kontrolliert. Aber gut, umso schneller ist man in Tschechien. Hier, wo die „Spielbank Zinnberg“ und der Lokalitäten-Laden „Saigon“ auf Kunden warten (ebenso die schöne und leicht bekleidete Ruslana mit ihrer Freundin Svetlana) ist es IMMER grau und bewölkt. Jetzt geht’s bergab. Mit dem Wetter, mit dem Fahrstil der Tschechen, mit der Beschäftigungsquote (außerhalb der Prostitution) und mit der Straße, denn nach Teplice geht es jetzt quasi Schuss. Nach unten. Schnell wird noch Dubi durchfahren, ich sehe keine Menschen auf der Straße, nur Anjuschka steht in ihrem rot erleuchteten Glasfenster und liest gelangweilt ihre Zeitung. Doch ich habe gerade keine Augen für Anjuschka, denn vor mir liegt…….
…..
nichts. Verdammt, ich hätte länger Anjuschka anglotzen sollen, denn die Ortseinfahrt nach Teplice ist wie immer ungefähr so spannend und abwechslungsreich wie die Liveübertragung eines Wettangelturniers – ohne Teilnehmer wohlgemerkt. Jedes mal vergesse ich wie öde es hier ist, wie grau, wie abgestorben, wie tschechisch… Und ja, ich liebe es. Über eine Schnellstraße nähern wir uns dem Stadion, welches auf einem Hügel liegt und durch eine fehlende Nordtribüne auffällt. Fast erreichen wir es. Der Bus biegt vorher ab. Fährt runter, nun parallel zur Eisenbahnstrecke. Dieser folgen wir über zwei Ampelkreuzungen, welche immer, immer, immer auf rot stehen! Ob das am deutschen Bus liegt? Mögen die den hier nicht? Wird er geplant an der Ampel gestoppt, um unten die Gepäckfächer leer zu räumen??? Nein, das war ja Polen. So, nun ist es schon 9:30 Uhr und wir halten vor dem hlavní nádraží, dem Hauptbahnhof, von Teplice. Schön. Da.
Ich steige aus und atme die Luft, eine Mischung aus Auspuff, Hund und ungewaschener Mann, ein. Wie immer. Es ändert sich nichts. Gelb-Blaue Busse quietschen. Es fängt leicht zu tröpfeln an, humpelnde Einheimische schleppen viel zu große Plastiktüten mit sich herum und an meiner Lieblingshamburgerbude betanken sich wieder vier bärtige Männer. Was nun? Eine halbe Stunde habe ich Aufenthalt hier. Erst dann geht es weiter. Weiter in das Herz dieses Landes, hinein in die holde Glücklichkeit des Busverkehrs , hindurch, durch die vernebelnden Industrieanlagen Nordtschechiens, rein nach Prag, weg von deutscher Zivilisation, rein in ungeordnete Plattenbauzersiedlungen, weg vom Euro, hin zur Krone. Ja, aber halt erst in einer halben Stunde, nämlich genau 10:00Uhr. Dann wird sich mein Bus 580911 5 der Firma DP INTERCITY s.r.o.; Richtung Hauptstadt in Bewegung setzen. Ich überquere die Straße um in den Hauptbahnhof zu gelangen. So, nun sind noch 25 Minuten sind Zeit und ich stehe wie jedes Mal interessehalber und zeitumdieeckebringenhalber im hlavní nádraží . Hier gibt es die leckersten kleinen Gebäcke die ich kenne. Sie kosten fast nichts und sind so unglaublich wohlschmeckend, dass ich aus versehen den ganzen Ladenstand leer kaufe. Und das passiert mir jedes Mal. Ich trete mit einer vollen, genüsslich dampfenden Tüte Blätterteiggebäck auf den Bahnsteig heraus. Und wieder liegt dieser Mann auf der Bank, erzählt abwechselnd mit dem Mülleimer zur rechten und dem Fenster mit Sprung zu seiner linken und ich denke mir, kennste doch…. Hier sind alle so drauf. Schnell lese ich mir noch den Schaukasten zur Museumsbahn hinter Dubi durch, dann entscheide ich mich, den Rückzug anzutreten. Lieber mal nicht in das Gespräch verwickelt werden, welches den Mülleimer grade erzittern ließ. Besser nicht erleben, wie der Sprung in einem Fenster sich zu einem knackenden super „Klirrrrrr“ entwickelt und lieber nicht noch was von meinem Gebäck beim Fluchtversuch vor finstern Gestalten verschlucken. Ich schlendere also entschlossen wieder aus dem Bahnhof hinaus und visiere den Busbahnhof an. Dieser wird von mir natürlich auch fachmännisch als „Teplice,,aut.nádr. MHD“ bezeichnet. Autobusbahnhof also. Ja, welch Logik dieser wunderbaren Sprache. Noch 10 Minuten. Zwei Omas und drei Jugendliche warten bereits an dem Bussteig Nummer 6, wo die Busse für gewöhnlich abfahren. So auch heute. Ich warte also hinter farblich sehr interessant gestalteten Absperrgeländern, mit einer sich nun immer mehr vermehrendären Masse Tschechen. Der Bus fährt vor, stellt den Motor aus. Die Tür öffnet sich und der leicht übergewichtige Fahrer rumpelt die Treppen des Ausstieges hinunter. Er öffnet draußen die Gepäckklappe und setzt sich wieder mit der selben, kalten, nichts sagenden Miene auf seinen Fahrersessel. Die ersten Leute beginnen einzusteigen. Ich tarne mich als Einheimischer, auch wenn das natürlich nahezu unmöglich ist, denn meine Kleidung, meine Haare, mein Rucksack, alles sieht nicht wirklich tschechisch aus. Beim Fahrer angekommen gilt es nun natürlich ein Ticket zu lösen. Der normale Tscheche macht das wie folgt:
Tschechischer Fahrgast: „Praha“
Tschechischer Busfahrer: „ “
Fertig. Er legt Geld hin, bekommt Wechselgeld wieder, nimmt seinen Ausdruck und zieht mürrisch den Gang Richtung Sitzplatz hinauf. Ich als freundlicher Deutscher falle da natürlich total aus der Reihe. Meine Konversation mit dem Busfahrer verlief wie folgt:
Deutscher Felix: „Ahoj, Praha“
Tschechischer Busfahrer: „ “
Routiniert gebe ich dem Busfahrer meinen 100 Kronenschein in dem Wissen, dass die Fahrt nur 96 Kronen kostet. So auch diesmal. Ich wurde nicht beschissen. Die Tarnung als Tscheche hat funktioniert, auch der kleine Patzer bei der Ticketbestellung, als ich doppelt soviel sagte wie der Durchschnittstscheche, fiel nicht zu sehr auf. Ich quetsche mich also gut gelaunt mit einem gültigen Papierticketausdruck von der größe eines 5 Cent Stückes den Gang zwischen den Sitzreihen nach hinten. An einem Fensterplatz, wo das Fenster mir am wenigsten mit fettigen Haaren voll geschmiert zu sein scheint, lasse ich mich nieder. Ich beobachte die noch zusteigenden Leute und fange folgendes Gespräch auf:
Tschechischer Fahrgast: „Lovosice“
Tschechischer Busfahrer: „ “
Toll denke ich mir, dieser Fahrgast hat mal ein völlig anderes Ziel genannt, daraus entwickelte sich auch wieder ein wahnsinnig abwechslungsreiches Gespräch….
Sei’s drum, die letzten Mitfahrer sind gerade eingestiegen, der Busfahrer steigt gerade aus. Er hat noch seinen schwierigsten Job am heutigen Tage zu erledigen. „RRRRUUUUUUUUUMMMMMMMMSSSSSSSS!!!!“ und zu ist die Gepäckklappe. Der Bus wackelt noch ungefähr 20 Sekunden nach, aber die ist schon nicht mehr feststellbar, denn das anlassen des rumpelnden Motors übertönt alles. Noch zweimal die Drehzahl nach oben getreten und wir setzen uns in Bewegung. Ich sitze in einem tschechischen Überlandbus und fahre nach Prag. Für 4€ - die Strecke wohlgemerkt. Obwohl „fahren“ umschreibt die Fahrt eher milde. Ehe ich mich versehe befindet sich der Bus nämlich auf der falschen Spur. Auf der rechten stauen sich Lkws und Pkws, die linke, eigentlich dem Gegenverkehr vorbehalten, war frei. Bis eben. Denn jetzt düst auf ihr Bus 580911 5 mit mir an Bord den Berg hinunter. Direkt auf eine nicht einzusehende Kurve zu. Einscheren nach rechts ist nicht möglich (geschweige denn eine rechtzeitige Vollbremsung) denke ich mir, denn hier lässt einen ja keiner rein, schon gar nicht wenn mal eben so einen Kilometer auf der falschen Spur überholt hat….
Mein Kleinhirn rechnet:
Durch diese Überholaktion spart der Busfahrer uns sicherlich gerade +15 Minuten Wartezeit. Gut. Aber wenn ich jetzt sterbe, weil wir einem Gemüselaster der Firma „Zeleninový“ frontal „Hallo“ sagen müssen, da dieser auch gerne seine eigene Spur in seine Richtung benutzt, verliere ich mindestens 50 Lebensjahre. Das sind -26280000 Minuten. Das sind…egal, ich nehme lieber die 15 Minuten! Die Tachonadel muss mittlerweile die 100km/h Marke schon deutlich überschritten haben, da erreichen wir die Kurve. Alle Köpfe der Fahrgäste sind schon in der Giraffenposition angenagelt, jeder will sehen was passiert. In der Kurve:
Nix.
Doch was befindet sich hinter der Kurve?
Genau! – eine Ampel.
Sie zeigt rot. Für uns, oder besser für unsere Fahrtrichtung, denn wir sind ja gerade noch auf der Gegenfahrbahn unterwegs, haben eigentlich keine Ampel….
„Haben eigentlich keine Ampel“ sagt sich der Busfahrer auch und schwups sind wir über die rot leuchtende Ampel und ehe ich mich versehe rein in eine Baustelle gebrettert. Doch halt, Baustelle hieße ja langsam fahren! Das kann nicht sein, schon biegen wir scharf nach rechts auf eine Tschechische Nebenstraße ab. Nebenstraßen versprechen einen verminderten Komfortgrad. Tschechische auch. Ich versuche mich in meinem Sitz zu halten, die Knie gegen den Vordersitz drückend, den Rücken voll an die Lehne angepresst, schüttelt es mich wie Milch in einem leeren Marmeladenglas umher. Verkrampfend versuche ich zu verhindern, dass mein Kopf die obere Gepäckablage durchstößt, oder das Fenster zur Rechten zertrümmert. Aber die Landschaft ist schön. Das Gras ist grün, die Äpfel rot, die Felder gelb, die Gärten bunt, die Häuser grau, das Wasser braun.
Vulkanähnliche Kegel zieren die Landschaft. Wälder ziehen sich an ihnen empor. Hochspannungsleitungsmasten zieren die Landschaft. Ich mag es hier. Es wäre nur schön wenn man diese Landschaft auch genießen könnte, aber mein vibrierendes Fenster lässt jeden Blick nach außen verschwimmen. Wir fahren wieder auf die Hauptstraße. Ah, ruhige Straßenlage. Wir gleiten (für tschechische Verhältnisse) dahin. Bořislav heißt die erste Station, wir halten an der Hauptstraße an einer Bushaltestelle. Zwei ältere Frauen steigen zu. Sie wollen nach:
„Praha“.
Dazu meint der Busfahrer nur:
„ “.
Genau und weiter geht es. Hinter Bořislav endet endgültig das Erzgebirge, das Land wird flach wie ein Teller. Kurz bevor die Autobahn nach Prag anfängt biegen wir nach links ab. Wir erreichen die Industriestadt Lovosice. Die Industriestadt wird dominiert von ihrer Industrie. Deswegen heißt es auch Industriestadt. Ist ja logisch. Chemieunternehmen sind hier angesiedelt. Das macht die Luft hier irgendwie so…. chemisch….
Und die Fische der angrenzenden Labe so dreiäugig. Nun, sei’s drum, wir sind ja nicht hier um Fische zu angeln, sondern um nach Prag noch ein paar Leute mitzunehmen. Dies tun wir auch. Der Bus ist nun schon gut gefüllt mit Kümmel und Knoblauchfressenden Tschechen, die Luft wirkt explosiv. Nein, ehrlich gesagt habe ich keine Probleme mit der Luft, niemand hat Knoblauchbäder genommen, dass scheint nur ein Vorurteil gegenüber Osteuropäern zu sein, was ich hiermit abbauen will! Also mit, okay, leicht abgestandener, Luft im Bus fahren wir auf die Autobahn, „autostráda“ in Tschechien genannt, und setzen unseren Weg gen Süden fort. Es ist stark bewölkt, aber das ist es ja immer hier. Ich schließe die Augen, jetzt auf der Autobahn kann ich noch ein Dreiviertelstündchen schlafen, außerdem will ich nicht sehen wie vor der Frontscheibe ein großer Totenkopf erscheint, mit sich überkreuzenden Knochen, so auf rotem Untergrund. Nein, dass will ich wirklich nicht sehen. Dies würde heißen, dass wir uns ein Windschattenrennen hinter einem Chemiegefahrgutlaster aus Lovosice liefern. Hinten auf dem Flüssiggastanklastwagen prangt der Totenkopf, für mich symbolisiert er etwas gefährliches, für unseren Busfahrer, keine Ahnung… Er will ihn scheinbar mal aus 50 cm Entfernung sehen – bei 95 Km/h.
Ich bin nicht so scharf darauf. Ich schließe die Augen und döse. Es könnte ja mein letzter Schlaf als Lebender sein. Und wer jetzt denkt als toter Tschechischer Busreisender hätte ich danach noch jede menge Zeit zum schlafen unter der Erde in einem schönen gemütlichen Sarg, der irrt. Denn ein Unfall mit nem Lkw mit Totenkopf, auf einer Tschechischen Autobahn mit 95 Km/h, führt definitiv dazu, dass man mich nur noch, als sauren Regen runterkommend, in den Höhenlagen des Erzgebirges wieder findet… Bei Südwind zumindest. Und das sind keine schönen Aussichten finde ich. Also träume ich lieber in meinem abgewetzten, plüschüberzogenen Sitz vor mir hin. Mein Bus gewinnt eh das Rennen, das ist mir klar, da muss ich nicht mal hingucken! Kurz vor Prag fahren wir an vielen Logistikgroßzentren vorbei. Alle sind sie schön neben der Autobahn aneinander gereiht. Warten um den Osteuropäischen Markt zu erobern. Hier werde ich vielleicht mal arbeiten. Hm, hoffentlich aber nicht. Wir erreichen die Außenbereiche von Prag. Die Autobahn wird zur Stadtautobahn. Plötzlich ist es aber nur noch eine normale vierspurige Straße. Keine Ahnung wie die das machen, aber auffallen tut der Unterschied nicht! So fahren wir nun also auf einer Schnellstraße den Berg zur Moldau hinunter, halten noch kurz an einer Bushaltestelle mit dem wohlklingenden Namen „Vychovatelna“ und schon befinden wir uns auf der Brücke über die Moldau. Gleich dahinter befindet sich der Busbahnhof am „Nádraží Holešovice“. Dort endet meine Fahrt. Ich steige aus. Berühre festen Boden unter den Füßen. Ich lebe noch! Leicht zitternd schaue ich mich um und sehe ungefähr 37 rumqualmende Überlandbusse die in alle Winkel Tschechiens fahren werden. Herrlich… Ich sehe auch an jeder Ecke Müll liegen. Ich bin da. Prag – die Goldene Stadt.
Und durch Prag mit Metro, Bus, oder Straßenbahn….Ja, das ist eine andere Geschichte!
Danke fürs Lesen. Felix.